Dienstag, Juni 20, 2006

BUCKELMANNS ASIATISCHER ABEND (Anfang der Geschichte)

[aus: "BUCKELMANN, IMMER WIEDER BUCKELMANN"]

'Asiatischer Abend' versprach die Einladung, die Buckelmann unverhofft in seinem Briefkasten fand, und zu diesem Zweck bat man ihn, den Jade-Pavillion von 'Dr. Wok' aufzusuchen, "... das vollklimatisierte Restaurant ganz in ihrer Nähe ..." wie es auf der Einladung stand. Und 'Dr. Wok' fügte an: "Ein guter Koch ist auch en guter Arzt!"

Zumindest war dies einmal keine Einladung des Formates, wie sie ihm sein Kollege Werner stets schmackhaft zu machen versuchte, obwohl diese für beide regelmäßig in einem mittleren Fiasko endeten. So wie letzten Samstag, als Buckelmann zu einer After-Show-Party in die 'Gloria Bar' eingeladen worden war. Es wurde zwar grundsätzlich ein netter Abend, aber als sich im zweiten Showteil Bratislavas fidelste Großmutter anschickte, auf der Bühne drei gut gebauten Sudanesen die Abschiebehaft zu versüßen - und dies trotz erkennbarer Inkontinenz - war für Buckelmann ein Punkt erreicht, um ohne seinen Kollegen die 'Gloria Bar' zu verlassen; diese After-Show-Party hatte er sich dann doch etwas weniger tiefgründig vorgestellt.

Buckelmann kannte den Jade-Pavillion von 'Dr. Wok' bereits von vorherigen Besuchen und der Betreiber, Herr Xu, hatte sich diesmal offensichtlich große Mühe gegeben, seinen asiatischen Abend zu einem vollen Erfolg werden zu lassen. Neben Kantonesischen Feuerreitern hatte er eine Gamelan-Gruppe aus Bali und zwei Sportler von der Malakkahalbinsel eingeladen, die den Gästen die Kunst des 'Muay Thai' vermitteln sollten. Zu Anfang traten deshalb erst einmal die Künstler gemeinsam auf. Zum Klang der Gambangs, Gendér und Metallplatten sowie der unvermeidlichen Gongs und Cymbals führten die Boxer ihre einzelnen Übungen vor und die Feuerreiter sorgten für die passende Illumination. Danach wurden den Gästen die Karten gereicht und zwar zur Feier des Tages ohne Übersetzung.

Buckelmanns Chinesischkenntnisse erwiesen sich hierbei schnell als leicht limitiert, insbesondere die der einzelnen Schriftzeichen. Auch sein kleines Zeichenlexikon half nicht wirklich weiter, galt es doch, erst die teilweise mehr als zwanzig Striche eines Schriftzeichens und schließlich den Namen eines Gerichts zu entziffern. War Nummer 168 nun 'Lao Hu Dou', frei übersetzt in etwa 'Zwischen Drache und Tiger', oder 'Yi Shang Shu', 'Der Pfad zur goldenen Mitte'. Buckelmann konnte und wollte sich nicht vorstellen, welche Mahlzeit er bei Nummer 168 wohl serviert bekommen würde. Wer abseits der europäisch gestalteten Speisekarte asiatischer Restaurants chinesisch speisen wolle, Herr Xu hatte in seiner Einleitung eindringlich darauf hingewiesen, dass in China kaum ein Mensch Entenfleisch essen würde, müsse sich darauf einlassen, dass er wahrlich exotisch essen könne, so Herr Xu. "Wichtig ist: Es schmeckt."

In China, das hatte Buckelmann bereits vorab geahnt, muss man beim Essen stets mit dem Außergewöhnlichsten rechnen, denn in der Chinesischen Küche gilt grundsätzlich alles Lebendige als essbar - von Gerichten wie 'Tausendjährigen Eiern' ganz zu schweigen. Der Grund dafür war ebenso einfach wie einleuchtend: Dass Chinesen neben Hunden und Quallen, Schildkröten, Lurch, Seesterne oder sonstiges Getier essen, liegt darin begründet, dass sie mit nur fünf Prozent der bebaubaren Welt-Ackerfläche rund zwanzig Prozent der Weltbevölkerung satt kriegen müssen. In einer BBC Reportage hatte Buckelmann neulich sogar erfahren, dass man im Norden Chinas wieder konservativ essen würde, da man dort schon seit Jahren auf Affe und Adler verzichten würde.

Dabei war es weniger Tierliebe, die Buckelmann weiter zögern lies, zu bestellen, sondern eher die Tatsache, dass Auge und Ohr schließlich ja auch mit essen – sauwohl, als auch. Immer wieder warf er deshalb verstohlene Blicke an den Nachbartisch, an dem ein asiatischer Vater und seine etwa neunjährige Tochter nach "gegrillten Seepferdchen am Spieß" mit einem Bambushalm das Mark einer mittelgroßen Raupe austranken. Da half nicht einmal wegschauen - das schmatzende Sauggeräusch schwang ihm den Rest des Abends in den Ohren.

Buckelmann entschloss sich nach der dritten höflichen Nachfrage von Herrn Han, dem jüngsten Sohn des Restaurantchefs, für die Nummer 49 'Pai Guang Hua', was er mit 'Seeschlange frittiert' übersetzt bekam. Immerhin schienen ihn weniger ausgefallene Namen zumindest ungefähr erahnen lassen, was serviert werden würde. Und tatsächlich stellten sich die 'Pai Guang Hua' als schmal gesschnittene Gurkenstücke, kalt und mit Knoblauchsoße serviert, heraus und, was Buckelmann durchaus betrübte, als eine Vorspeise.

Also wagte sich Buckelmann dann doch noch an die Nummer 168 und Herr Han sagte ihm, als er es Buckelmann servierte, dass dies weder 'Zwischen Drache und Tiger' noch 'Der Pfad zur goldenen Mitte' sei, sondern 'Lao Hu Dou' meine 'Termiten erklettern einen Baum'. Na bitte, dachte sich Buckelmann, Insekten sollen ja durchaus über einen hohen Proteingehalt verfügen. Nach dem Öfnen der Essenhaube über dem Teller wurde Buckelmanns Phantasie allerdings enttäuscht, denn es wurden ihm lecker gebratenes Gemüse mit kleingehacktem Fleisch und Morcheln gereicht.

Vielleicht sollten die kleinen Fleischfetzen die Termiten symbolisieren? Wer weiss, dachte Buckelmann. Mit frischem Ingwer und Frühlingszwiebeln gekocht, schien das Ganze jedoch ein Gaumenschmaus. Buckelmann winkte noch einmal Herrn Han zu sich und fragte ihn, was denn nun 'Zwischen Drachen und Tiger' gewesen wäre. Herr Han teilte ihm darauf unterwürfigst mit, dass dies traditionell eine Suppe mit Schlangen- und Katzenfleisch wäre, die in Deutschland "natürlich" nicht serviert werden dürfe und hier mit Hasen- und Schneckenfleisch hergestellt werde. Ebenso seien die am Nachbartisch servierten Seepferdchen und Seidenraupen "natürlich" keine echten Seepferdchen und Seidenraupen gewesen.


[...diese Geschichte setzt sich fort...]

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